Lauschbar 43 25. Januar 2009

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Kanye West: 808s & Heartbreak (Roc-A-Fella/Def Jam) 21.11.2008
Der 31-jährige Rapper, Sänger und Produzent hat sich Anfang des neuen Jahrtausends in der ersten Liga des US-amerikanischen HipHop etabliert. Obgleich Mainstream-fähig, geht er dabei jedoch durchaus auch seine eigenen und innovativen Wege. So kann man das vorliegende, brandaktuelle vierte Album auch nur noch bedingt in die Sparte HipHop stecken. Die satten Beats und der Flow der Musik sind zwar HipHop-typisch, anstelle von Raps herrscht aber "normaler" Gesang vor. Dabei macht er ausgiebig vom Auto-Tune-Effekt Gebrauch, der eigentlich zum Ausgleich von Gesangsungenauigkeiten verwendet wird. West setzt den Effekt aber bewußt ein, was seiner Stimme einen stark künstlichen Klang verleiht, an dem sich wahrscheinlich die Geschmäcker scheiden werden.
Bis auf 2 Dancefloor-taugliche Stücke ist der Großteil der Platte eher balladesk-düster gehalten, da er den Tod seiner Mutter und die Trennung von seiner Verlobten verarbeitet.
  ↑  Flobots: Fight With Tools (Universal Republic) 24.10.2008
Das Longplay-Debüt der Band aus Colorado erscheint hierzulande mit einem Jahr Verspätung und bietet einen packenden und groovenden Rap-Rock-Funk-Crossover, bei dem die Vorbilder wie Rage Against The Machine, Red Hot Chili Peppers, Public Enemy und The Roots herauszuhören sind. Durch den Einsatz einer Bratsche verschafft sich die Band jedoch auch durchaus eine eigene Note.
Auffällig sind desweiteren die politisch engagierten Texte, in denen die Mißstände in der Welt angeprangert werden, aber auch zum eigenen Handeln aufgerufen wird. Ein ganzer Song ist z.B. Anne Braden gewidmet, einer Aktivistin der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung in den 40ern bis 60ern.
  ↑  CSS: Donkey (SubPop) 25.7.2008
CSS ist die Abkürzung von "Cansei de Ser Sexy" (portugiesisch für „Keine Lust mehr, sexy zu sein"). Die brasilianische Band wurde 2003 gegründet und hat sich mit der auf dem selbsbetitelten Debüt aus dem Jahre 2005 enthaltenen, unbekümmerten und wilden Electro-Wave-Rock-Fusion bereits eine weltweite Fan-Basis erspielt, auch dank einer ausgeweiteten Internet-Präsenz. Das neue, zweite Album ist nun etwas runder und glatter produziert, und es wird nun nur noch auf English gesungen. Das Album beginnt mit 4 ordentlichen Indie-Dancefloor-Stücken. Danach verflacht das Album etwas Richtung 80ies Indie-Wave-Pop a la B-52’s, bevor es die letzten 3 Stücke wieder richtig gut krachen lassen. Einen zwiespältigen Eindruck hinterläßt auch die zwar interessante, zuweilen aber auch etwas nervende Stimme von Sängerin Lovefoxxx.
  ↑  T.Raumschmiere: I Tank You (Shitkatapult) 19.9.2008
T.Raumschmiere ist ein, vor ca. 10 Jahren gegründetes Electropunk-Projekt von Marco Haas, der auch Begründer des Labels Shitkatapult ist. Den Projektnamen hat Haas an den Titel der Kurzgeschichte "Die Traumschmiere" (The Dream Cops) von William Burroughs angelehnt. Neben diversen EPs ist "I Tank You" sein mittlerweile 6. Longplayer. Er bietet eine knarzige Mischung aus Punk-Rock, Industrial, Rap und Electro-Clash. Bis auf 2 rein instrumentale und überwiegend elektronische Tracks sind alle anderen Stücke mit Gesang (womit der Gesangsanteil höher ist als auf früheren Alben). Neben illustren GastsängerInnen von Puppetmastaz und Deichkind gibt es auch einige interessante unbekanntere zu hören. Auf den 2 Stücken, wo Haas, mit Verzerrer-Effekten überlagert, selber singt, klingt er wie ein Marilyn Manson-Klon.
  ↑  Fujiya & Miyagi: Lightbulbs (Grönland/Cargo) 19.9.2008
Nachdem mir bereits der Vorgänger "Transparent Things" vor anderthalb Jahren recht gut gefallen hatte und ihr Konzert auf dem Melt!-Festival im vergangenen Jahr zu meinen Highlights gehörte, war ich entsprechend gespannt auf das nun vorliegende 3. Album des seit 10 Jahren bestehenden britischen Projekts um Sänger Und Gitarrist David Best sowie Keyboarder Steve Lewis. Nun, es fällt weniger elektronisch aus, wie nach dem Live-Auftritt zu vermuten gewesen wäre, sondern knüpft im Großen und Ganzen an den relaxt-groovenden Sound des Vorgängers an, nur noch etwas ausgefeilter. Wieder gelingt ihnen eine ganz eigenständige und unverwechselbare Mischung aus 70er Jahre-Kraut-Rock/Pop und modernem Indie-Electro-Pop. Hinzu kommt die eigenwillige Art des Gesangs: teils distanziert-kühl, teils wie ein zusätzliches Rhythmus-Instrument fungierend, werden Nons-Sense-Lyrics zum Besten gegeben ("Autobahn" von Kraftwerk lässt grüßen).
Wer ausgefallenen Indie-Electro-Pop der Marke Hot Chip mag, dürfte auch hieran seine Freude haben ...
  ↑  Pivot: O Soundtrack My Heart (Warp) 15.8.2008
Nach längerer Zeit mal wieder eine kleine – und angenehme - Überraschung, die der Musikmarkt hier darbietet, in Gestalt des ersten, auf dem renommierten Warp-Label erschienenen Albums der seit 1999 bestehenden australischen Band. Ihre Musik kann man grob als Electro-Postrock klassifizieren, im Detail ist sie ein wüster, aber erfrischender (und rein instrumentaler) Stilmix aus 70er Jahre-Synthesizer-Sound a la Jean Michel Jarre, aus verschrobenem Postrock der ersten Stunde a la Trans Am und Tortoise (dessen Mastermind John McEntire das Album denn auch schön fett abgemischt hat), aus experimenteller Electronica der Marke Aphex Twin sowie aus Space-Pop a la Air, serviert mit Gitarrenrock-Riffs und teils atemberaubendem Schlagzeug-Gewitter.
Den geneigten Hörer erwartet ein musikalischer Abenteuer-Trip, bei dem sich brachiale und groovende Momente mit sanfteren und weicheren abwechseln. Bestimmt auch live eine Wucht ...
  ↑  Mogwai: The Hawk Is Howling (Wall Of Sound/PIAS) 19.9.2008
Seit gut 10 Jahren sind die Schotten eine absolute Referenzgröße in der Sparte des Post-Rock, und diese Stellung untermauern sie auch mit ihrem nun vorliegenden 6. Studioalbum. Zwar können auch sie dem Genre keine neuen Innovationen zuführen, aber wie sie die bekannten Stilmittel einsetzen und zu faszinierenden bis atemberaubenden Klanggemälden verarbeiten, ist absolute Klasse. Für mich ihr bislang bestes Werk!
Die Palette reicht von lauten Gitarrennoise-Krachern über monumentale, sich dynamisch steigernde Musik-Epen bis zu ruhigeren sphärischen Stücken, in denen sich feinfühlige Gitarrenmelodien auf schwebende Synthesizerflächen betten.
Gegenüber dem Vorgänger "Mr. Beast" (2006), auf dem die Stücke relativ kompakt geraten waren, läßt die Band den (allesamt rein instrumentalen) Tracks nun wieder mehr Raum und Zeit zur Entfaltung, wobei sie auf extreme und harte Laut-Leise-Wechsel wie in den Anfangsjahren weitgehend verzichten.
  ↑  Xavier Rudd: Dark Shades Of Blue (Anti/SPV) 15.8.2008
Der 30-jährige Multiinstrumentalist und Songwriter aus Australien mit Zweitheimat Kanada (Ehefrau) wurde bislang oft in eine Sparte mit Jack Johnson gesteckt, da er mit diesem nicht nur das Faible für lockere Akustik-Gitarrenmucke teilte, sondern auch die Passion für das Surfen. Mit dem vorliegenden Album muss man diese Einschätzung korrigieren, denn dieses hat mit Lagerfeuer-Romantik nur noch wenig zu tun, sondern bietet, über weite Strecken, eine vielschichtige und kraftvoll-erdige Rockmusik mit den Echpfeilern Psychedelic, Blues, Reggae und Aborigines-Folk. Am Ende dürfen es auch 2 wunderschöne Balladen sein. Markenzeichen seiner Musik ist der Einsatz von Didgeridoos. Aber auch die leichte Verzerrung von Gitarre und Gesang, die der Platte eine leicht raue Note verleihen, sowie gelegentliche Hintergrundchöre von Aborigenes-Clans tragen zum besonderen Klangbild bei.
Paradestück ist für mich der fast 8-minütige Track Nr.8 ("Uncle"), der mystisch-besinnlich beginnt, dann aber nach 3 Minuten in einen irre groovenden Tribal-Rock übergeht.
Eine weiterer Pluspunkt sind die engagierten Texte, in denen er Umweltzerstörung, Klimaerwärmung und Menschenrechtsverletzungen thematisiert.
  ↑  Grace Jones: Hurricane (Pias/Wall Of Sound) 7.11.2008
2008 scheint ja das Jahr der gelungenen Comebacks zu werden, s.a. Portishead und Anne Clark. Das letzte Album der extravaganten Sängerin und Schauspielerin erschien immerhin schon vor fast 20 Jahren. Die inzwischen 60-jährige Jamaikanerin biedert sich lobenswerterweise nicht dem Zeitgeist an und macht auch nicht einfach auf 80er-Jahre-Retro, sondern hat mit "Hurricane" ein ganz und gar unpeinliches, zeitloses Werk geschaffen. In 2, 3 Songs knüpft sie an den Reggae-infizierten New Wave ihrer letzten Alben aus den 80ern an, den größeren Teil des Albums machen aber recht dunkel gehaltene, TripHop-artige Stücke mit pulsierenden elektronischen Sounds aus. Exemplarisch dafür stehen die für mich stärksten Tracks des Albums: das Kapitalismus-kritische "Corporate Cannibals" und der Titelsong mit Tricky.
Bindemittel der stilistisch doch recht verschiedenen Stücke ist ihre charismatische, laszive Stimme, die auch für einige Gänsehaut-Momente sorgt...
  ↑  Nicola Conte: Rituals (Schema/EmArcy) 17.10.2008
Der italienische DJ, Produzent, Gitarrist und Songwriter begann seine musikalische Laufbahn in den 90ern in der Acid Jazz Formation Fez. 2000 erschien sein erstes Solo-Album. Das vorliegende dritte Album bietet eine elegante und relaxte Fusion von Jazz, Bossa Nova und französischer Nouvelle Vague-Filmmusik, die eine angenehme Prise mediterraner Leichtigkeit verströmt. Stilistisch vergleichbar etwa mit den an dieser Stelle auch schon vorgestellten Koop.
Die Stücke hat Conte zwar zum großen Teil selber geschrieben, als Gitarrist hält er sich aber dezent im Hintergrund und überläßt die Bühne den zahlreichen und exzellenten Gastmusikern und -sängerInnen.
  ↑  Emiliana Torrini: Me And Armini (Rough Trade) 5.9.2008
Die 31-jährige, in Island aufgewachsene Tochter eines Italieners und einer Isländerin war mir bislang unbekannt, dabei ist sie in der Musikwelt kein unbeschriebenes Blatt mehr: Ihre musikalische Karriere begann sie mit der Band Spoon. Danach war sie Sängerin bei der auch hierzulande recht bekannten Electro-Pop-Band Gus Gus, bevor sie ihre Solokarriere begann. Nach 2, nur in Island erschienenen Alben siedelte sie nach England über, wo 1999 ihr erstes, international veröffentlichtes Album erschien ("Love in the Time of Science"), auf dem sie noch dem vom TripHop beeinflussten Electro-Pop ihrer Anfangsjahre verhaftet blieb. Erst 6 Jahre später erschien ihr zweites Werk "Fisherman’s Woman", zum einen wegen persönlicher Schicksalsschläge (Unfalltod des Freundes, Opfer eines Überfalls), zum anderen wegen diverser Kollaberationen. So sang sie den "Gollum Song" vom Soundtrack zum 2. Teil der "Herr der Ringe"-Trilogie ein, war 2002 am Album "The Richest Man In Babylon" von Thievery Corporation beteiligt und schrieb 2004 für Kylie Minogue den Hit "Slow".
Nun liegt also ihr drittes Album vor. Zelebrierte sie auf "Fisherman’s Woman" noch fragilen, nur von Gitarre begleiteten Folk-Pop, so erweitert sie auf dem nun vorliegenden neuen Album ihr Spektrum noch einmal beträchtlich. In 3, 4 Stücken knüpft sie an den Folk-Pop des Vorgängers an, bei dem ihre elfenhafte, teilweise an Björk erinnernde Stimme im Vordergrund steht. Dazu gesellen sich üppiger instrumentierte Stücke verschiedenster Richtung, die das Hören des Albums zu einem abwechlsungsreichen Vergnügen machen. So wartet der Titelsong mit luftigem Reggae-Feeling auf, enthält das 6-minütige "Birds" psychedelische Spielereien a la Pink Floyd, wird "Gun" von einem verhallten Gitarren-Riff geprägt und ist "Dead Duck" ein wundervoll atmosphärisches Indietronic-Stück.
  ↑  Brett Anderson: Wilderness (Edel) 17.10.2008
Brett Anderson war Sänger der britischen Band Suede, die Anfang der 90er die erste Liga des BritPop anführte, bevor ihr diese Stellung dann von Oasis und Blur abgenommen wurde. 2003 erschien das letzte Album der Band, 2007 sein erstes Solo-Album. Das nun vorliegende zweite Solo-Album ist so eine typische Platte für die kalte und dunkle Jahreszeit, die man am besten mit einer Flasche Rotwein geniesst. In nur einer Woche hat er dieses zeitlos schöne Album eingespielt. Die Instrumentierung ist sehr sparsam. Meistens spielt er nur Piano, gelegentlich Gitarre, und lässt sich ansonsten nur von einer Cellistin begleiten. Dadurch steht seine wunderbare Stimme im Vordergrund. Im Song "Back To You" singt er zusammen mit der Schauspielerin Emmanuelle Seigner, die mit ihrer warmen Stimme sehr gut mit der von Anderson harmoniert. Inhaltlich erzählt das Album die wechselhafte Geschichte einer Liebesbeziehung. Das ist insgesamt sicher sehr melancholisch, aber es zieht einen nicht runter, dafür sind die Songs einfach zu schön und erhaben.
Das Album hat eigentlich nur einen Minuspunkt, es ist mit nur 9 Songs und 35 Minuten einfach zu kurz ...