Lauschbar 36 14. April 2007

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Union Of Knives: Violence & Birdsong (Relentless/PIAS) 19.1.2007
Das Debüt des schottischen Trios war für mich das erste musikalische Highlight dieses Jahres und bietet exzellenten Trip-Rock, also eine Fusion aus elektronischem TripHop und Rock. Die Charakterisierung dieser Musik als rockige Variante von Massive Attack ist wohl die reffendste Kurzbeschreibung.
Kalte Elektronik und polternde Beats treffen auf weiche Synthesizer-Harmonien, temporeiche Samples verschmelzen mit meditativem männlichen Gesang und den zarten Stimmen von Gastsängerinnen. Drumloops und verzerrte Bässe sowie auch vereinzelte Gitarrenriffs setzen Akzente und grenzen die Union Of Knives von Synthiepop und tranciger Electronica ab.
  ↑  Explosions In The Sky: All Of A Sudden I Miss Everyone (Bella Union) 16.2.2007
Die seit 1999 bestehende, vierköpfige Band aus Texas zelebriert auf dem vorliegenden 4. Album einen ergreifenden Post-Rock. In der für dieses Genre typischen Manier errichtet auch diese Combo behutsam, Schicht für Schicht, filigrane Soundstrukturen, um diese dann in orgiastischen Ausbrüchen einzureißen u. danach – evtl. – wieder aufzubauen.
Anders als bei anderen Vertretern dieser Richtung, wie z.B. Mogwai, fallen die Ausbrüche aber weniger eruptiv und hart aus. Im Vordergrund steht ganz klar Schönheit und Wohlklang. Die lauteren Passagen bauen lediglich die notwendige Spannung auf, nach deren Abklingen die sich umschmeichelnden Gitarren- und Pianomelodien um so schöner erklingen.
Die zum großen Teil recht langen Stücke kommen alle ohne Gesang aus, was den trance-artigen Zustand beim Genuss der Platte erhöht. Achtung: diese Platte kann süchtig machen, und man kann sich in ihr verlieren wie der Mann in dem Nußschalenboot auf dem Cover!
  ↑  Sparta: Threes (Hollywood) 16.12.2006
Noch eine Rock-Band aus Texas, und auch eine, die es versteht, Anspruch mit Zugänglichkeit in Einklang zu bringen.
Das kurz vor Jahresfrist erschienene 3. Album von Sparta wurde von der Redaktion der Musik-Zeitschrift "Visions" kurzerhand zur Platte des Jahres 2006 gekürt. Eine Wahl, die ich nicht ganz verstehe, da diesen Titel für meinen Geschmack andere Bands (aus dem Rockbereich) wie die Yeah Yeah Yeahs oder Isis eher verdient hätten, aber eine tolle Platte ist es durchaus.
Emotionale Rockmusik im Spannungsfeld von schnellen Gitarrensounds a la U2 und Moll-Melodien a la Coldplay.
Eine deutliche Steigerung im Vergleich zum Vorgänger-Album "Porcelain" aus 2004, zu verdanken auch einer besseren Ausdruckskraft von Sänger Jim Ward.
  ↑  The Blood Arm: Lie Lover Lie (Because/Warner) 19.1.2007
Hört man die Musik dieses Debüts, so denkt man unwillkürlich an eine weitere Band der britischen Indie-Wave-Rock-Welle, die Band stammt allerdings aus dem sonnigen Kalifornien.
Immerhin wurden sie von keinen Geringeren als Franz Ferdinand unter die Fittiche und mit auf Tour genommen. Und in der Tat klingen The Blood Arm teilweise wie das schottische Vorbild: schmissige Gitarrenriffs, pumpende Drums, selbstbewußter Gesang. Daß sie aber mehr als ein Abklatsch sind, ist vor allem dem Spielwitz von Keyboarderin Dyan Valdes zu verdanken, und einem hintergründigen Humor a la Adam Green.
Den Hit "Suspicious Character" mit dem unwiderstehlichen Refrain "I like all the girls, and all the girls like me" gibt’s demnächst auch wieder in Eurer <bc>-Indie-Disco ...
  ↑  Bananafishbones: When You Pass By (Südpol/Alive) 9.3.2007
Das seit 1991 bestehende Trio aus Bayern, das 1999 mit "Come To Sin" und "Easy Day" von ihrem 2. Album "Viva Conputa" bereits zwei veritable Hits landen konnte, legt nach 3 Jahren mit ihrem mittlerweile 6. Album eine unglaublich lockere und abwechslungsreiche Platte vor: leichfüßiger Gitarren-Pop, Rock’n’Roll, Funk, Country und elektronische Beats werden auf gekonnte und entspannte Weise zu einem bunten Potpourri vermischt. Die Lockerheit haben sie wohl u.a. ihren Kindern zu verdanken, die auch bei 2 Liedern mitsingen, ohne daß es peinlich ist ...
  ↑  Husky Rescue: Ghost Is Not Real (Catskills/Groove Attack) 26.1.2007
Nach Union Of Knives für mich die 2. positive Überraschung des neuen Jahres. Das finnische Projekt um Marko Nyberg erschafft auf ihrem 2. Album aus Folk, Electronica, ambienten Sounds und Elementen des Post-Rock faszinierende Klangwelten, die den Hörer zeitweise und vor allem dank der süßen Stimme von Sängerin Reeta-Leena Korhola in das Reich der Märchen und Phantasie entführen (was seine Entsprechung auch im zauberhaften Cover-Artwork findet).
  ↑  Locas In Love: Saurus (Sitzer/Virgin) 9.2.2007
Aus den recht zahlreichen und beachtenswerten Neuerscheinungen deutschsprachigen Indie-Rock/Pops der letzten Zeit (z.B. Anajo, Tele) ragt am ehesten vielleicht noch dieses 2. Album der Kölner Gruppe heraus, das in einem englischen Studio unter Zuhilfenahme diverser Gastmusiker eingespielt wurde. Und so hört man auf der Platte neben dem üblichen Rock-Instrumentarium allerlei Streicher, Bläser, Kinderchöre und Geräusche, ohne daß die perfekt arrangierten Stücke überladen wirken. In den Texten, abwechselnd mit männlichem und weiblichem Gesang vorgetragen, wird in sehr direkter Weise über persönliche Erlebnisse und Gedanken erzählt.
  ↑  Gladys Knight: Before Me (Verve/Universal) 16.2.2007
Die 1944 geborene Soulsängerin hatte ihre größten Erfolge Ende der 60er, Anfang der 70er mit den Pips auf dem legendären Motown-Label. Aber auch danach ist sie ständig im Musik-Showbiz aktiv geblieben und hat nun mit einer Reihe erstklassiger Jazz-Musiker eine Platte mit Jazz-Klassikern von Duke Ellington, George Gershwin u.a. eingespielt. Da mag der Jazz-Purist die Stirn runzeln, aber sie erweist sich als versierte Jazz-Interpretin. Das allerdings ist nicht so verwunderlich, wenn man weiß, dass sie ihre Karriere mit Jazz begann. Und so ist dieses Album eine Hommage an ihre Vorbilder und Vorgänger von damals – daher auch der Albumtitel ...
  ↑  17 Hippies: Heimlich (Hipster/Soulfood) 23.2.2007
Mit dem Soundtrack zu "Halbe Treppe" und ihrem 1. Album "IFNI" aus 2004 haben sich die Hippies in Deutschland, zu Recht, bereits eine beachtliche Fanbasis erspielt. Auf dem nun vorliegenden 2. Studio-Album bleiben sie ihrem Stil treu: eine abwechslungsreiche Fusion aus südost-europäischer Folklore, Rock, Pop und Chanson im Gefühlsspektrum von quirliger Lebensfreude bis zur Melancholie. Instrumentale Stücke wechseln sich mit Liedern ab, die in Englisch, Deutsch und/oder Französich gesungen werden.
  ↑  OMFO: We Are The Shepherds (Essay/Indigo) 24.11.2006
OMFO ist die Abkürzung für "Our Man From Odessa", und dahinter verbirgt sich der tatsächlich aus Odessa stammende, aber jetzt in Amsterdam lebende German Popov.
Die Metropole am Schwarzen Meer war und ist ein Schmelztiegel der Kulturen an der Schnittstelle zw. Westen und Osten. Und so wächst German zum einen mit osteuropäischer und mittelasiatischer Folklore, real-sozialistischem Schlager, aber auch mit westlicher Pop-Musik auf. Hinzu kommt das Interesse für die Raumfahrt und damit für elektronische Sounds. All diese Elemente verbindet er in seiner musikalischen Karriere, die er nach Studium und Übersiedelung nach Amsterdam begann.
Nach Mitarbeit in diversen Bands erschien 2004 sein erstes Solo-Album "Trans Balkan Express", von dem 2 Stücke auf dem Soundtrack von "Borat" verwendet wurden.
Nun also sein 2. Streich: schön schrullige, gegen (westliche) Hörgewohnheiten gebürstete Weltraum-Folkore, produziert von seinem Bruder im Geiste, Senor Coconut.
  ↑  Yes Boss: Look Busy (Dance To The Radio/V2) 2.3.2007
Die britische Garage- und 2Step-Szene hat einen neuen Protagonisten und Konkurrenten für Mike Skinner von The Streets. "Look Busy" ist das Debüt des aus Leeds stammenden Projektes um den Rapper Noah Brown und den Sound- und Beatbastler Gavin Lawson. Zu elektrifizierten Beats zieht Noah in seinen Rapsüber das Musikgeschäft her. Das kommt etwas rüpelhafter als bei The Streets rüber, aber immer mit Augenzwinkern und in sympathischem englischen Slang.
  ↑  In The Nursery: Era (ITN Corp) 19.1.2007
Zum ersten Mal in der Geschichte der Lauschbar ergibt es sich, daß ich ein Album dieses bemerkenswerten britischen Projektes um die Zwillingsbrüder Klive und Nigel Humberstone vorstelle. Das Projekt existiert bereits seit 1981 und seit 1986 haben sie sage und schreibe 22 Alben veröffentlicht. Klar, daß man die nicht alle verfolgen kann, und daß da auch ein paar schwächere Alben darunter sind. Mit "Era" ist den beiden aber wieder ein großer Wurf gelungen.
In den Anfangsjahren noch von industrieller und militärischer Rhythmik geprägt, haben sie bald auch Elemente der klassichen und experimentellen Musik integriert, und so einen erhabenen, orchestralen Stil entwickelt, der sich nun schon seit Jahren durch ihre Werke zieht. Die zum großen Teil instrumentalen Stücke haben oft soundtrack-artigen Charakter und einige ihrer Alben sind in der Tat auch als nachträgliche Soundtracks zu Schwarz-Weiß-Stummfilmen aus den 20ern konzipiert.
Auf "Era", das keine Best-Of oder Retrospektive darstellt, wie der Titel vielleicht vermuten lassen könnte, sind all die oben genannten Zutaten vertreten. Es gibt ein paar mehr Vocals als früher, u.a. mit der französichen Sängerin Dolores Marguerite C, mit der die Humberstone-Brüder in der Vergangenheit schon wiederholt zusammengearbeitet haben.