Lauschbar 38 21. Oktober 2007

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Biffy Clyro: Puzzle (14th Floor/Warner) 1.6.2007
"Puzzle" ist das vierte Album des seit Ende der 90er bestehenden schottischen Trios. Während sie die ersten 3 Alben im strammen Jahresrhythmus veröffentlichten, hat es diesmal gleich drei Jahre seit dem letzten Werk "Infinity Land" aus dem Jahr 2004 gedauert. Das lag zum einen an einer seelischen Krise, in die Sänger und Gitarrist Simon Neil nach dem Tod seiner Mutter unmittelbar nach Erscheinen von "Infinity Land" stürzte, und zum anderen an Querelen aufgrund eines Label-Wechsels.
Aus diesen Krisen ging die Band jedoch gereift hervor und legt mit "Puzzle" ein hervorragendes Album vor, das gekonnt Elemente aus Emo-, Indie- und Prog-Rock vereint. Da paart sich ein stramm-rockender Rhythmus mit harmonischen Melodien und allerlei musikalischen Finessen, u.a. ein paar Orchesterparts, dirigiert von Filmmusik-Komponist Graeme Revell, ohne dass die Songs jedoch ihre straffe Linie verlieren.
Sehr berührend ist es, wenn Simon Neil im Stück "Folding Stars" an seine verstorbene Mutter gerichtet singt: "Eleanore, I would give anything for another minute with you".
Zur musikalischen Qualität passt auch sehr gut das gelungene Cover-Artwork ...
  ↑  Cuba Missouri: Things I Wish I Had Not Called Just Things (Make My Day/Alive) 18.5.2007
Bereits das Debüt "This Year’s Lucky Charms" der Band aus Münster/Osnabrück hatte es mir im vergangenen Jahr mit ihrem melancholischen Indie-Post-Rock angetan (und landete folgerichtig in der LB33). Gut ein Jahr später gibt es also bereits den eher spontan eingespielten Nachschlag der vom Trio zum Quartett angewachsenen Band. Der ist mehr Indie- als Post-Rock. Bis auf das 9-minütige, zentrale Stück "White Barracks Resolution" gehen die Songs direkter zur Sache, weisen aber immer noch das typische Variieren in Tempo und Lautstärke auf, was die Musik von Cuba Missouri so spannend macht. Der Kritiker im Visions hat das ganz gut beschrieben: "Es sind die Berg- und Talfahrten der Dynamik, das Spielen mit Schönem und Spröden, das Wechselbad der Intensitäten zwischen verlorenen Pianolinien und brachialen Klanggewittern, die ihren Stil bestimmen und so besonders machen. Da reiht sich ein knackiger Popsong mit Schrammelattitüde nahtlos an ein sich über Minuten hin sukzessive auftürmendes Klangmonster."
Die Platte wurde wieder in bewährter Manier vom Blackmail-Gitarristen Kurt Ebelhäuser produziert, und man sollte ihr ein paar Durchläufe gönnen, denn ihre Feinheiten offenbaren sich erst nach und nach ...
  ↑  Pink Turns Blue: Ghost (Orden/Alive) 25.5.2007
Die Anfang der 90er zu den beliebtesten Acts der Dark Wave und Gothic Szene gehörende, aber 1994 aufgelöste Band feierte vor 2 Jahren mit dem Album "Phoenix" (LB 29) ein grandioses Comeback. Auch das vorliegende neue Album ist wieder eine Perle dunkler Musikkunst mit den bekannten Trademarks der Band: hypnotischer Gitarren-Wave und die unglaublich charismatische Stimme von Sänger Mic Jogwer. Schnellere, tanzbare Stücke wechseln mit eindringlichen Balladen, wie z.B. das wunderschöne "True Love", dessen bitter-süße Melancholie jedem romantisch gestimmten Menschen Tränen in die Augen zaubern dürfte ...
  ↑  Pride And Fall: In My Time Of Dying (Dependent) 17.8.2007
Das norwegische Trio um Sänger Sigve Monsen gehört zu den Vertretern des melodischen Electro, teilweise auch als Future Pop bezeichnet. Das Genre, das sich durch technoide Rave Beats auszeichnet, hat seinen Höhepunkt bereits überschritten, was sicher auch an den begrenzten Ausdrucksmitteln liegt. Nur wenige Acts können auf dieser Basis noch wirklich spannende Platten kreieren. Den Norwegern gelingt dies durch eine ausgeprägte Melancholie und Düsternis, insbesondere im zweiten Teil des Albums. Da ihr Label Dependent geschlossen wird, ist auch die Zukunft dieses Trios ungewiß ...
  ↑  Digitalism: Idealism (Labels/Virgin) 8.6.2007
Nach dem der Indie-Rock-Hype der letzten Jahre etwas abgeklungen ist, stand und steht dieses Jahr nun im Zeichen des Nu Rave: einer forschen und exstatischen Verbindung oder auch Vermischung von tanzbarem Rock und elektronischen Dancefloormitteln. Zum Teil, wie bei Digitalism, ist das rein elektronisch erzeugte Musik, die jedoch das gewisse Rock-Feeling aufweist.
Hinter Digitalism verbirgt sich das Hamburger Duo Jens "Jence" Moelle und Ismail "Isi" Tuefekci, die mit "Idealism" ihr Longplayer-Debüt vorlegen. Zuvor hatten sie sich aber auch schon als Remixer und durch DJ-Sets einen Namen gemacht.
  ↑  UNKLE: War Stories (Surrender All) 6.7.2007
James Lavelle, Mitte der 90er Begründer des innovativen Trip-Hop-Labels Mo’Wax (u.a. DJ Shadow), ist als Produzent, DJ und vor allem als Remixer ein vielbeschäftigter Mann, so dass er nur alle paar Jahre Zeit für sein eigenes Band-Projekt hat: nach dem 98-er Debüt und dem 2003 erschienenen "Never, Never, Land" (LB 23) liegt nun gerade erst das dritte Album vor. Auf diesem hat er sich noch mehr als schon auf dem Vorgänger von dem elektronischen Sound seiner Anfangsjahre ab- und dem Rock zugewandt, ohne dabei seine Wurzeln zu verleugnen. Das Feuerwerk an Ideen, das er mit seinem Partner Richard File und zahlreichen Gastmusikern abfeuert, ist beachtlich. Die Sounds, Riffs und Beats sind teilweise total irre oder einfach auch nur genial.
Gesangliche Höhepunkte sind die beiden Stücke, denen Ian Astbury (von The Cult) seine unvergleichliche Stimme leiht.
Das aufwändig-schöne Booklet-Artwork wurde von 3D (Massive Attack) gestaltet ... ein gelungener Einstand für Lavelle’s neues Label Surrender All.
  ↑  Dub Pistols: Speakers And Tweeters (Sunday Best) 18.5.2007
Die seit 1996 bestehende britische Band um die Produzenten und Soundtüftler Jason O’Bryan und Barry Ashworth legt nach 6 Jahren ihr 3. Album vor. Auf diesem lassen sie den, von den Chemical Brothers inspirierten, elektronischen BigBeat-Style ihrer ersten Jahre hinter sich und kreieren mit Bigband und Gastsängern eine homogene Mixtur aus Ska, Reggae, Soul, Funk und BreakBeats.
Terry Hall, Ex-Frontmann von den Specials ist gleich auf 4 Songs als Sänger vertreten, u.a. dem Specials-Cover (!) "Gangsters", das auf der letzten Clubrotation bereits seine Dancefloor-Feuertaufe bestand ...
  ↑  Shantel: Disko Partizani (Essay/Indigo) 24.8.2007
Der 1968 in Frankfurt geborene Stefan Hantel, der sich Ende der 90er zunächst als Produzent gediegener elektronischer Downbeat-Musik hervortat, macht sich seit ein paar Jahren um die Verschmelzung von Balkan-Pop und -folklore mit westlichem, elektronisch produziertem Dancefloor verdient. So gab er auf den beiden "Bucovina Club" Samplern (2003, 2005) Künstlern des Balkan eine Plattform. Diese danken es ihm nun als Gastmusiker auf dem vorliegenden Solo-Album, auf dem er als Sänger und Musiker agiert.
Bei dieser vitalen Musik dürfte kein Tanzbein ruhig bleiben.
Das Album war der perfekte Soundtrack des vergangenen Urlaubs mit Freunden in Kroatien :-)
  ↑  Manu Chao: La Radiolina (Because/Warner) 31.8.2007
Nach 6 Jahren also wieder ein Album des bekennenden Weltenbürgers. Die Zwischenzeit hat er auf Touren u. als Produzent, u.a. von Amadou & Mariam (LB 29), verbracht. Auf dem neuen Album geht er etwas zurück zu seinen Anfängen mit der Punk-Band Mano Negra und schlägt zum Teil deutlich rockigere Töne an als auf seinen beiden ersten Alben. Geblieben ist die stimmungsreiche Vermischung verschiedenster musikalischer Stile aus aller Welt und ein wilder Sprachmix.
Leider ist manches nur skizzenhaft angelegt, sonst hätte es ein wirklich großartiges Album werden können.
  ↑  Pink Martini: Hey Eugene! (Heinz/Naive/edel) 11.5.2007
Das Mini-Orchester aus Oregon um den klassisch ausgebildeten Pianisten Thomas Lauderdale und die charmante Sängerin China Forbes servieren uns auf ihrem 3. Album einen bunten Cocktail aus lateinamerikanischer Musik, jazziger und zeitgenössischer Lounge Musik, französischem Chanson, arabischem Gesang, 40er-Jahre-Schmacht-Pop sowie russischer Tanzfolklore!
  ↑  Various Artists: Stax 50th Aniversary Celebration (Stax/Concord/Universal) 25.5.2007
Wie der Titel schon sagt, handelt es sich hier um einen Sampler zum 50. Jahrestag der Gründung des legendären, in Memphis angesiedelten Stax-Labels, das bis zu seinem Ende 1975 die musikalische Heimat so renommierter Soul-Musiker wie Carla Thomas, Otis Redding, Booker T., Eddie Floyd, The Staple Singers und Isaac Hayes war.
Im Gegensatz zum hochpolierten Sound des Konkurenz-Labels Motown aus Detroit klangen und klingen die Stax-Produktionen, zumindest aus den 60ern, erdiger und weniger schwülstig. Das lag zum einen an der besonderen Akustik des Studios, einem umgebauten Theater, und zum anderen an der Produktionsweise, bei der den Studiomusikern genug Zeit zur Erarbeitung des Arrangements gelassen wurde, das Stück letztlich aber live, ohne größere Studionachbearbeitung, eingespielt wurde.
2007 wurden die Rechte am Stax Label von Concord Recordings erworben, die sich nun um die Veröffentlichung dieses Jubiläumssamplers verdient machen. Dieser stellt eine Fundgrube (2CDs) für jeden Soul-Fan dar und wartet auch mit einem sehr informativen und reich bebilderten Booklet auf.
  ↑  The Cinematic Orchestra: Ma Fleur (Ninja Tune) 4.5.2007
Der britische Komponist und Multi-Instrumentalist Jason Swinscoe entfernt sich mit seinem Cinematic Orchestra 5 Jahre nach dem Zweitwerk "Everyday" (LB 18) noch weiter von der Electro-Jazz-Fusion des 99er Debüts "Motion". Das neue Album ist eine sehr introvertierte, kammermusikalische Platte geworden, die verschiedene Szenen aus dem Leben eines Menschen beschreibt. Die Stücke leben vor allem von den Stimmen hervorragender GastsängerInnen, u.a. von Lou Rhodes (Ex-Lamb).