Lauschbar 41 15. Juni 2008

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The Last Shadow Puppets: The Age Of The Understatement (Domino/Indigo) 18.4.2008
Es ist doch immer wieder schön – da es nicht so oft vorkommt - wenn man von einer unbekannten und/oder neuen Band unerwartet mit einer richtig guten Platte überrascht wird ... wie in diesem Fall das britische Projekt von Alex Turner, Sänger bei der Indie-Rock-Combo Arctic Monkeys, und Miles Kane, Frontman der Rascals. Beide lernten sich 2007 kennen, als Kane mit seiner Vorgängerband The Little Flames im Vorprogramm der Arctic Monkeys auftrat. Gemeinsam machten sie sich dann an die Verwirklichung ihrer Vision der Verbindung von modernem Indie-Rock mit Sixties-Pop! Und das ist ihnen auf überzeugende Weise gelungen. Mit scheinbar leichter Hand gelingen ihnen luftige Songarrangements, in denen das übliche Rockinstrumentarium in den Hintergrund rückt und statt dessen Surf-Gitarren, Mariachi-Trompeten, Kastagnetten und Orchester (Morricone läßt grüßen) den Sound bestimmen. Bis auf 1, 2 Songs, die doch mehr dem schmissigen Indie-Rock verhaftet sind, ist das Ganze zwar weniger zum Tanzen geeignet, macht aber gute Laune beim Zuhören, und ist in seiner Frische und Lockerheit eine perfekte Platte für den Sommer-Auftakt ...
  ↑  The Kooks: Konk (Virgin) 11.4.2008
Vor 2 Jahren war das Debüt der 4 Jungs aus Brighton, die sich 2003 an der dortigen Musikhochschule kennen lernten, etwas in der Flut der Veröffentlichungen untergegangen, die auf der Indie-Rock-Hype-Welle schwammen, hielt aber schon ein paar schöne Stücke für den Indie-Dancefloor bereit. Nun, da sich die Wogen etwas geglättet haben, dürfte und sollte dem Zweitwerk der Kooks mehr Aufmerksamkeit zukommen, zumal es das Debüt qualitativ noch übertrifft, denn das Songwriting ist noch ausgefeilter, Luke Pritchard singt noch charismatischer und Lead-Gitarrist Hugh Harris gibt den Gitarren-Gott. Ein potentieller Hit folgt dem anderen und Assoziationen zu den reifen Beatles werden geweckt ...
  ↑  MGMT: Oracular Spectacular (Sony) 2.5.2008
Die Geschichte der beiden New Yorker Ben Goldwasser und Andrew VanWyngarden hört sich fast wie ein Märchen an: Sie fangen während ihrer Studienzeit an, zusammen Musik zu machen, bevorzugt skurilles, aber auch tanzbares elektronisches Zeug (noch vor dem aktuellen Nu Rave / Electro-Rock-Hype!), finden damit Anklang bei Kommilitonen, die gründen extra ein Label, auf dem die beiden unter dem Namen Management eine EP veröffentlichen. Nach dem Studium gehen sie zunächst getrennte Wege, doch dann kommt ein Anruf vom Major-Label Sony, weil einem Talentescout die EP in die Finger geriet ... und fertig war der Plattenvertrag.
So können wir nun das hervorragende Debüt der beiden in den Händen halten. Von der EP sind noch die beiden Electro-Tanzflächenfüller "Time To Pretend" und "Kids" enthalten. Die anderen Stücke zeigen aber, daß die beiden schon wieder auf der Suche nach neuen Horizonten sind: die Reise geht da zum einen in psychedelische Gefilde a la Flaming Lips und frühem Bowie, zum anderen hin zu hippie-mäßigen Pop ... und immer große Melodien im Gepäck. So hört sich eine perfekte Symbiose von klassischem Pop und aktuellem Eletro-Rock an.
  ↑  Tocadisco: Solo (Superstar/Universal) 25.1.2008
Tocadisco ist der Künstlername des 34-jährigen Berliners Roman Böer. Der Multiinstrumentalist ist ein weltweit gefragter DJ und Remixer (u.a. Moby, Culcha Candela). Mit dem vorliegenden Debüt erfüllt er sich den langjährigen Wunsch nach einem "richtigen" Solo-Album (wobei er von diversen Gast-SängerInnen unterstützt wird). Hörbar ist der - durchaus gelungene – Versuch, das Etikett als "Electro-DJ" loszuwerden, denn die Platte ist kein reines Electro-Ding, sondern enthält auch Elemente aus anderen Stilarten, mit denen er im Laufe seiner Tätigkeit als Remixer in Berührung kam: Rock, TripHop, Rap, Soul, Latin und New Age. Damit ist auch für Kurzweiligkeit gesorgt.
  ↑  Patrice: Free PatriAtion (Supow/Universal) 23.5.2008
10 Jahre nach seiner Debüt-EP entfernt sich der in Köln und New York lebende Sänger und Songwriter sierraleonischer Abstammung auf seinem 4. Studio-Album von seiner Reggae/Dancehall-Vergangenheit und bewegt sich deutlich in Richtung Singer/Songwriter (a la Jack Johnson) und Soul-Pop (u.a. zu hören auf dem Duett "Same ol’ Story" mit seiner Partnerin Ayo). Das auf höchstem Niveau von Commissioner Gordon (u.a. auch Joss Stone und Amy Winehouse) produzierte Album enthält zwar keinen offensichtlichen Dancefloor-Hit wie "Soulstorm" vom letzten Album, ist ingesamt aber stimmiger als die beiden (mir bekannten) Vorgänger-Alben.
  ↑  The Roots: Rising Down (DefJam/Island) 25.4.2008
Das Rap-Projekt aus Philadelphia um Rapper Black Thought und Drummer ?uestlove ist ja schon seit Jahren bekannt für HipHop der anspruchsvolleren Art ohne die üblichen Mätzchen des Mainstream- und Gangsta-Rap. Diesem Anspruch bleiben sie auch auf ihrem mittlerweile 8. Album treu. Der Jazz-Vibe der Vorgänger-Alben ist dabei über weite Strecken einem etwas düstereren, elektronischen Sound gewichen, der gut zu den politischeren, sozial-kritischen Texten paßt. Als Gast-Rapper diesmal dabei u.a.: Mos Def und Common.
  ↑  Black Mountain: In The Future (Jagjaguwar) 25.1.2008
Bereits das Debüt der Band aus Vancouver vor 3 Jahren sorgte für Aufsehen unter den Fans von Blues- und Progressive Rock im Stil der 70er (a la Led Zeppelin, Deep Purple, Black Sabath, Eloy). Das nun vorliegende zweite Album ist dank der inzwischen angesammelten Spielpraxis noch ausgereifter und abwechslungsreicher, und deswegen jedem Liebhaber der o.g. Musikrichtungen bzw. Bands nur zu empfehlen. Die Spannbreite der Songs reicht von kurzen, luftigeren Hippie-mäßigen Stücken über Hardrock-Nummern bis zum epischen, 17-minütigen "Bright Lights". Geschmackssache ist zuweilen der eigenwillige Gesang von Frontmann Stephen McBean.
  ↑  The Notwist: The Devil, You + Me (City Slang / Universal) 2.5.2008
6 Jahre hat das sympathische Trio aus Weilheim seine Fans auf ein neues Album warten lassen. Im Gegensatz etwa zu Portishead, die kürzlich nach 11 Jahren nachlegten, war The Notwist in diesen 6 Jahren aber ständig präsent, sei es live oder in ihren diversen Nebenprojekten wie Console oder 13&God (ein gemeinsames Projekt mit den Alternativ-Rappern von Themselves aus den USA, Album 2005).
Und so überrascht das neue Werk auch nicht wirklich, sondern enthält die schon vom Vorgänger-Album "Neon Golden" her bekannte, souveräne Mischung aus Indie/Post-Rock, Jazz und Electronica. Neu ist die Einbindung eines Orchesters in einigen Songs. Zwar fehlt ein knackiger Hit der Marke "Pilot", aber das neue Album gefällt mir insgesamt sogar besser als Neon Golden".
Das Album erfordert Geduld und ein paar Durchläufe, um die vielen Feinheiten zu erfassen, also nichts für den flüchtigen Internet-Download-Konsumenten ...
  ↑  Portishead: Third (Island/Go!Discs/Universal) 25.4.2008
Respekt! 11 Jahre nach ihrem zweiten und bislang letztem Studioalbum geht das Trio aus Bristol nicht etwa auf Nummer sicher und legt nicht einfach eine weitere Platte im Stil des TripHop vor, den sie ja – u.a. neben Massive Attack – mit ihrem famosen 94er Debüt-Album "Dummy" maßgeblich mit kreiert hatten. Schnell gab es zahlreiche Nachahmer und bereits 3 Jahre später, als ihr zweites Album erschien, waren die Zutaten aus verschleppten Beats, gescratchen Samples und Vinylknacksen zu einer Formel verkommen, die kreative Geister nicht mehr zufriedenstellen konnte. Folgerichtig zog sich das Trio nach dem Live-Album 1998 zurück. 2001 begannen dann die Arbeiten am neuen Album mit der Zielstellung, darauf völlig andere Dinge auszuprobieren. Der lange Entstehungsprozeß hat sich letztlich ausgezahlt, denn auf "Third" erschaffen sie wieder eine ganz originäre Soundästhetik: dank der Stimme von Beth Gibbons zwar unverkennbar Portishead, gibt es ansonsten jedoch viele neue Dinge zu hören: von ruhigen Folk-Songs über groovigen NewWave und Krautrock bis hin zu Industrialbeats.
Dabei macht es das Trio dem Höher nicht leicht, denn fast jedes Stück enthält schräge und verstörende Momente, was den Zugang erschwert. Der geneigte und geduldige Zuhörer wird am Ende jedoch mit einem beeindruckenden Kunstwerk belohnt ...
  ↑  Rykarda Parasol: Our Hearts First Meet (Glitterhouse) 18.1.2008
Grob gesagt kann man die Musik der in San Francisco lebenden Blondine mit schwedischen Wurzeln als die weibliche Ausgabe von Nick Cave bezeichnen. Mit dunkler und wandlungsfähiger Stimme, die an PJ Harvey und Siouxsie Sioux erinnert, singt sie auf ihrem Album-Debüt über die düsteren Seiten des Lebens, aber so, dass es nicht deprimiert, sondern eher Mut macht. Musikalisch bewegt sie sich im Folk-Blues-Rock-Spektrum und weist dabei Violine und Piano eine gewichtige Rolle zu.
Die Platte erschien bereits im Januar und ist auch eine, die eher zur kalten Jahreszeit passt und die man am besten in einem gemütlichen Ambiente mit einer Flasche Rotwein geniesst.
  ↑  Nils Petter Molvaer: Re-Vision (Sula/Universal) 25.4.2008
Das Debüt "Khmer" des norwegischen Jazz-Trompeters aus dem Jahre 1998 war ein Highlight der ersten Lauschbar (!) und bot eine bahnbrechende Fusion aus Jazz in der Tradition von Miles Davis und modernen elektronischen Sounds’n’Beats. Das vorliegende Album ist eine Sammlung von Beiträgen Molvaers zu 3 Filmen jüngerer Zeit. Entsprechend ist der Soundscape-Charakter noch ausgeprägter als auf seinen regulären Studio-Alben. Bahnbrechend ist das zwar nicht mehr, aber immer noch hervorragendes (und anspruchsvolles) Kopf-Kino.
  ↑  Toumani Diabate: The Mande Variations (World Circuit / Indigo) 28.2.2008
Der 42-jährige Musiker aus Mali gilt als einer der besten Spieler auf der Kora, einer 21-saitigen Stegharfe, die nur in Westafrika gespielt wird. Bereits sein Vater war ein Meister auf diesem Instrument. Da dieser aber viel auf Tourneen war, brachte sich der kleine Toumani das Kora-Spiel selber bei und entwickelte dabei einen eigenen Stil, in den er neben seinen westafrikanischen Wurzeln auch Elemente aus Jazz, Blues und Flamenco einfliessen läßt. Seine Kunstfertigkeit machte ihn auch zu einem weltweit begehrten Session-Musiker, wovon u.a. Kollaberationen mit Blues-Legende Taj Mahal und letztens mit Björk künden.
Sein Solo-Debüt "Kaira" aus dem Jahre 1988 war das erste Album, auf dem einzig eine Kora zu hören ist. 20 Jahre später wiederholt er mit dem vorliegenden Album diesen Ansatz, der es dem Hörer ermöglicht, den großen Klangspielraum dieses Instruments zu erfassen. Mit Daumen und Zeigefinger beider Hände entlockt der Meister dem Instrument zur gleichen Zeit verschiedene Melodien und Basslinien, so daß man oft nicht glauben mag, hier nur einen Spieler zu hören. Die Musik selber ist eher ruhig gehalten und lädt zum Entspannen und dank der Exotik auch zum Träumen ein.