Lauschbar 35 07. Januar 2007

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Plan B: Who Needs Actions When You Got Words (697/Inkubator/Soulfood) 29.9.2006
Der 22-jährige Ben Drews alias Plan B aus dem Nordlondoner Halbghetto Forest Gate legt mit seinem Debüt ein beeindruckendes und authentisches Street-Rap-Album vor, das rein gar nichts mit protzigem Goldkettchenträger-HipHop zu tun hat.
Vom Slang her an Mike Skinner von The Streets erinnernd, läßt sein Vortragsstil aber eher Vergleiche mit Eminem zu. Von diesem wiederum, und von den meisten anderen HipHop-Acts unterscheidet er sich darin, daß er kaum elektronisches Equipment verwendet und seine Songs nicht mit fetten Beats untermalt. Vielmehr setzt er auf sparsames und konventionelles Band-Instrumentarium aus Gitarre (die er selber spielt), Baß und Schlagzeug sowie gelegentlichen Einsatz von Streichern. Dadurch wird der Fokus auf seine Rhymes und Stories gelenkt, in denen er von der Stimmung und den Problemen der Jungs aus dem Viertel erzählt. Und da es da nicht viel Gutes, sondern eher von verkorksten Elternhäusern und Drogen-Mißbrauch zu berichten gibt, ist der Grundton über weite Strecken des Albums nachdenklich und wütend, ohne aber in Aggressivität umzuschlagen.
  ↑  Various Artists: The In-Kraut, Vol.2 (Marina/Indigo) 27.10.2006
Der Untertitel "Hip Shaking Grooves made in Germany 1967-1974" sagt eigentlich schon das Wichtigste aus, was den Hörer bei diesem Sampler erwartet: funky Jazz-Soul-Pop im Big Band Gewand.
Während der genannten Zeit dominierte in Deutschland zwar unsäglicher Schlager, aber es gab auch Künstler, vor allem aus dem Jazz-Umfeld, die einige Stücke produzierten, die es mit den damals angesagtesten US- und UK-Acts der Sparte Soul-Funk-Jazz durchaus aufnehmen konnten. Dem Hamburger Label Marina kommt das Verdienst zu, einige jener Perlen auf dieser vergnüglichen Compilation (und dem Vorgänger aus 2005), zum Teil erstmals auf CD, für das heutige Publikum zusammengefaßt zu haben.
Sehr schön und informativ auch das dazu gehörige Booklet, das zu jedem Interpret und Lied eine Story zu erzählen weiß.
Aus den teils bizarren, aber zum großen Teil doch ziemlich coolen Tracks ragen für mich hervor:
  • - das fulminante Big Band Cover von Deep Purple’s Hit "Black Nights" durch Hugo Strasser
  • - die irre Fusion von Soul und Marschmusik in James Last’s "Soul March", und
  • - der psychedelische Proto-Rap "Holiday Time" von Hildegard Kneef, dessen anspruchsvolle Lyrics eine fast schon beängstigende Aktualität besitzen ("slaughter in pakistan, slaughter on the autobahn").
  ↑  Bonobo: Situations (Ninja Tune/Rough Trade) 17.11.2006
Das 4. Album des seit 1999 bestehenden Projects um den Briten Simon Green bietet feine Chillout- und Lounge-Mugge. Die Stücke erscheinen nach dem ersten Anhören wenig spektakulär, aber nach und nach offenbart sich die Kunst Green’s, mit filigranen Kompositionen eine warme und wohlig-prickelnde Atmosphäre zu erschaffen.
Mehr noch als auf den Vorgänger-Alben intergriert er auch Gesang, wobei hier besonders die soulige Stimme der Sängerin Bajka hervorzuheben ist.
  ↑  Enders Room: Hotel Alba (Tuition/Alive) 15.9.2006
Hinter dem mir bis dato unbekannten Enders Room verbirgt sich der Weilheimer Jazzer und Multi-Instrumentalist Johannes Enders, der schon bei vielen Projekten und Künstlern wie The Notwist und Roy Hargrove mitgeholfen hat.
"Hotel Alba" ist bereits sein drittes Solo-Album, auf dem er, unterstützt von einer Reihe von Gastmusikern, eine fluffige und stiloffene Fusion aus Jazz und Electronica kredenzt. Das erinnert ansatzweise an die moderne Jazz-Auffassung eines Nils Petter Molvaer, die Stücke von Enders kommen insgesamt aber leichtfüßiger als bei dem Norweger herüber.
  ↑  Steve Hackett: Wild Orchid (Warner) 8.9.2006
Steve Hackett dürfte dem einen oder der anderen als ehemaliger Gitarrist von Genesis bekannt sein. Als solcher war er an deren bahnbrechenden Prog/Art-Rock Alben der frühen 70er Jahre beteiligt, wie z.B. dem grandiosen "The Lamb Lies Down On Broadway" (1974). Just zu dem Zeitpunkt, als Genesis Ende der 70er der ganz große Durchbruch als massen-kompatible Supergroup gelang, verließ er die Band und startete eine – auch relativ erfolgreiche – Solokarriere, wobei ihm sicher auch der Bonus als Ex-Genesis Gitarrist zu gute kam. Während seiner Solokarriere hat er sich zum Teil weit von seinen Rock-Wurzeln entfernt und sich in Genres wie World Music, Jazz und Klassik ausprobiert. Das vorliegende Album ist eine schöne und faszinierend abwechslungsreiche Quintessenz all dieser Stilerfahrungen. Angenehm dabei ist, daß er nicht den Gitarren-Gott heraushängen läßt, sondern sein Leib-Instrument stimmig in die Kompositionen integriert.
Hinweis: am besten die Special-Edition mit 17 Songs anstatt der regulären 13 besorgen ...
  ↑  Disillusion: Gloria (MetalBlade/SPV) 20.10.2006
Die Band aus Leipzig gibt es schon seit 10 Jahren und "Gloria" ist ihr 2. Album (nach "Back To Times Of Splendor" aus 2004), auf dem sie sich von ihrer Death-Metal Vergangenheit lösen und nun eher zu Prog-Rock tendieren.
Das Album ist sicher keine leichte Kost, bietet dem aufgeschlossenen Hörer aber ein spannendes Hörerlebnis, bei dem es neben den üblichen Metal-Ingredenzien auch irrwitzig-trippige elektronische Sounds, synthetische Tribal-Chöre und andere Gimmicks zu entdecken gibt.
  ↑  Kasabian: Empire (Sony BMG) 22.9.2006
2 Jahre nach dem Debüt-Album (Lauschbar 28) holen die vier Briten zum nächsten großen Big-Beat-Rock-Schlag aus. "Ein wuchtiges Album, das mit zornigen Elektro-Beats rockt und sich mit psychedelischen Synthie- u. Gitarren-Loops wegschießt. Fluffige Streicher-Arrangements, verschnupfte Vocals und gefährlich giftige Sounds begleiten den irren Trip" (stereoplay) ... der mit Mariachi-Trompeten im abschließenden "Doberman" endet.
Insgesamt abgefahrener, damit aber auch etwas weniger eingängig als das Debüt.
  ↑  Eagle*Seagull: Eagle*Seagull (Lado/SPV) 15.9.2006
Für die Einspielung des Debüts hatte die Band aus Nebraska nur 3 Wochen Studio-Zeit, nach eigenen Aussagen nicht ausreichend, um alle musikalischen Vorstellungen umsetzen zu können. Dennoch ist es eine ausgesprochen schöne Indie-Pop-Platte geworden. "Umgesetzt wird die [Schönheit] in fast immer Radiogrenzen sprengend langen und sich ständig unerwartet wendenden Songs, die von Klavier mit einsamen Gesang über klassisch besetzten Indiepop bis hin zu langsam stampfenden Halbepen reichen. Anstrengend wird die sich zwischen Bowie, Interpol und Broken Social Scene freischwimmende Kollektivkunst dabei nie ..." (Visions)
  ↑  Teitur: Stay Under The Stars (Arlo&Betty/Edel) 15.9.2006
Dies ist das vierte Album des von den Färöer-Inseln stammenden Singer-/Songwriters. In seinen Liedern geht es um Liebe, Alleinsein, Hoffen ... "Emotionen, die der inzwischen in London lebende Musiker mal in Form von fragilen, schüchternen Leisetretern, mal mit oplulentem Streichquartett und mal mit jazzig verspielten Tönen inszeniert, und dabei wahlweise den passionierten Trauerkloß und den humoristischen Schelm gibt." (musikexpress). Herausragend die Single "Louis, Louis", eine Hommage an Jazz-Legende Louis Armstrong, sowie das Cover von Jerry Lee Lewis’ Rock’n’Roll-Fetzer "Great Balls On Fire", das sich bei Teitur zu einer Moll-Miniatur wandelt.
  ↑  Implant: Audio Blender (alfa-matric/Soulfood) 29.9.2006
Implant ist ein bereits seit 15 Jahren bestehendes Electro-Projekt um Mastermind Len Lemeire. Mit "Audio Blender" legt er ein für dieses Genre ungewöhnlich vielseitiges und abwechlsungsreiches Album zwischen Electroclash, Electro-Pop und hartem Industrial vor, das auch nicht vor Abstechern in Flamenco und Chanson halt macht. Zur Abwechslung tragen auch die ständig wechselnden männlichen und weiblichen Gast-Vocals bei, u.a. von 80er Jahre-Ikone Anne Clark und Jean-Luc De Meyer (Front 242).
  ↑  Trentemöller: The Last Resort (Poker Flat/Rough Trade) 6.10.2006
Der dänische Produzent Andreas Trentemöller, der sich bislang mit Remixen u.a. für Royksopp und die Pet Shop Boys um den Club-Dancefloor verdient gemacht hat, zelebriert auf seinem Solo-Debüt eine atmosphärische Fusion aus Ambient, Dub u. Minimal Techno, die weniger auf den Dancefloor, denn auf die häusliche Couch abzielt. Die herbstliche Stimmung (s. Cover) kommt dabei auch durch den dezenten Einsatz akustischer Instrumente zum Ausdruck.
  ↑  Jimi Tenor: ReComposed (Deutsche Grammophon) 22.9.2006
Der finnische Sound-Tüftler und Multi-Instrumentalist ist den meisten sicher noch durch ein paar Club-Hits aus der Mitte der 90er, u.a. "Take Me Baby" und "Sugar Daddy" in Erinnerung. Daneben hat er aber immer wieder auch nach neuen, abartigen und weniger leicht verdaulichen Ausdrucksmöglichkeiten gesucht. Es muß für ihn deswegen wie ein Geschenk Gottes gewesen sein, als das Klassik-Label Deutsche Grammophon ihm seine Archive öffnete und die Lizenz zur Neubearbeitung erteilte. Typisch für Tenor ist, daß er sich dazu Werke von solchen Komponisten ausgewählt hat, die ihrerseits nach neuen Formen gesucht hatten, darunter u.a. Erik Satie, Rimski-Korsakov, Edgar Varese und Steve Reich. Die Stücke umspannen dabei ein gutes Jahrhundert.
Herausgekommen ist ein zuweilen etwas anstrengendes und nicht in jeder Stimmung zu genießendes, aber extrem spannendes und buntes Album, dessen Facetten von der Klassiküber Jazz bis zu technoiden Soundscapes reichen.