Lauschbar 37 17. Juni 2007

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Arcade Fire: Neon Bible (City Slang/Rough Trade) 2.3.2007
Vor 2 Jahren fand das Debüt ("Funeral") der Band aus Montreal großen Anklang sowohl bei Musikkritikern als auch bei Fans anspruchsvoller Indie-Rockmusik. Das vorliegende 2. Album, dessen Titelstück die Verramschung von religiösen Inhalten im nordamerikanischen Fernsehen anprangert, ist sogar noch besser, packender geworden: treibender, zum großen Teil dunkel angehauchter Indie-Rock mit folkloristischen Elementen und orchestralen Arrangements (Streicher, Gospel-Chöre), der auf direkte und unpeinliche Weise große Gefühle wie Leidenschaft, Leid und Liebe ausdrückt. Zwar hat sich die Band eine Kirche in der Nähe von Montreal zu einem Studio umgebaut, dabei aber der Versuchung wiederstanden, eine sakrale und überambitionierte Platte zu machen. (So gibt es z.B. eine Kirchenorgel nur in zwei, dafür so umso fulminanteren Stücken zu hören.) Vielmehr ist der Sound zwar dicht und voller Details, aber immer gut ausbalanciert.
  ↑  El-P: I’ll Sleep When You’re Dead (Definitive Jux) 16.3.2007
Abseits vom Mainstream Rap gibt es in den USA auch eine kleine aber feine Alternative Rap-Szene, die nicht nur Gangsta-Gestus und Coolness zum Inhalt hat, und die innovative Wege sucht und geht, indem die Grenzen des HipHop in Richtung Rock und Electronica aufgebrochen werden. Dazu gehört El-P aka El-Producto, mit bürgerlichem Namen Jaime Meline. Ende der 90er war er Mitglied des bahnbrechenden Alternative Rap-Trios Company Flow. Im neuen Jahrtausend begann er dann seine Solo- und Produzentenkarriere, wozu er auch sein eigenes Label Definitive Jux gründete. Nach 3 Jahren legt er nun sein 4. Album vor, auf dem er elektronische Sounds, metallisch schleifende Beats und Rockismen mit HipHop zu einem düster groovenden Rap-Monster verdichtet. Bezeichnend für die stilistische Offenheit sind die Kollaberationen mit den Prog-Rockern von Mars Volta und Trent Reznor vom Industrial Rock-Act Nine Inch Nails.
  ↑  Jay-Jay Johanson: The Long Term Physical Effect (Labels/EMI) 20.4.2007
Der Schwede wuchs mit dem Synthi-Pop Anfang der 80er auf, siedelte der Liebe wegen dann nach Frankreich über, kam dort mit den vom Jazz beeinflussten French House in Berührung und erlebte schliesslich Mitte der 90er den Beginn des TripHop mit. All diese Einflüsse gingen in seine eigene Musik ein, die er seit 1996 auf mittlerweile 6 Alben veröffentlichte. Die Markenzeichen der neuen Platte: verschleppte trippige Beats, jazzige Melodieführung, falsettierter Gesang sowie eine in allen Songs vorherrschende wohlige Melancholie.
  ↑  Fujiya & Miyagi: Transparent Things (Gronland/Cargo) 16.3.2007
Bei dem Bandnamen denkt man unwillkürlich an ein japanisches Duo, das elektronische Musik macht. Damit liegt man jedoch ziemlich falsch, denn dahinter verbirgt sich ein britisches Trio, das sich nach einem Charakter aus "Karate Kid" und einem Plattenspieler benannt hat. Und reine elektronische Musik machen sie auch nicht. Zwar nutzen sie auch programmierte Beats, spielen ansonsten aber Gitarre, Bass und Keyboard live dazu ein, wodurch der Sound wärmer klingt als bei reiner elektronischer Musik. Stilistisch hört man Einflüsse des Krautrock der 70er Jahre heraus. Daraus entstehen ein paar hübsche Groovemonster, ohne dass aber wirklich zwingende Dancefloor-Hits dabei sind.
  ↑  Lady Sovereign: Public Warning (Def Jam/Universal) 30.3.2007
Die ebenso zierliche wie aufmüpfige, in Nordwest-London aufgewachsene Louise Harman alias Lady Sovereign mischt mit ihrem Debüt dank ihres losen und schnellen Mundwerks sowie einer explosiven Mixtur aus Hip-Hop, Soul, Reggae, Drum’n’Bass und Punk die britische Garage Rap-Szene ordentlich auf. Und das ist gut so ...
  ↑  Mad Caddies: Keep It Going (Fat Wreck/SPV) 27.4.2007
Dies ist bereits das 5. Album der 1995 gegründeten kalifornischen Band. Ursprünglich als Ska-Punk-Combo gestartet, haben sie auf der vorliegenden Platte einen deutlichen Schritt in Richtung Reggae gemacht. Gelegentlich eingestreute Elemente aus Folk und Dixieland-Jazz verleihen der Musik der Band eine besondere Note, die sie von anderen Ska-Bands abhebt.
Eine locker groovende Platte, zu der man wahlweise abhotten oder entspannt mitwippen kann.
  ↑  Metheny/Mehldau: Quartet (Nonesuch/Warner) 23.3.2007
Pat Metheny (USA), gestandener jazz-Gitarrist, und Brad Mehldau (USA), Jazz-Pianist der neueren Generation, trafen sich 2006 zum ersten Mal zur Zusammenarbeit. Ergebnis war das Album "Metheny/Mehldau". Als Nachschlag gibt es nun das "Quartet", zusammen mit Larry Grenadler am Bass und Jeff Ballard an den Drums. Dank kontrollierter Improvisation eine leichte und zugängliche Jazz-Platte, die von der perfekten, mal rhythmischen, mal melodischen Interaktion zwischen Gitarre und Piano lebt.
  ↑  Pure Reason Revolution: The Dark Third (Inside Out/SPV) 16.2.2007
Eine Platte, welche die Herzen der meisten Liebhaber von Art- und Prog-Rock schneller schlagen lassen wird, begeistert sie doch durch eine anspruchsvolle wie kurzweilige Mischung aus spacigen elektronischen Sounds und schredderigem Indie-Rock abseits vom üblichen Radio-Format. Da können die Stücke auch schon mal die 10-Minuten-Marke überschreiten. Besonderes Markenzeichen ist der mehrstimmige Harmoniegesang (weiblich und männlich). Auch Fans von Muse, Archive oder Polarkreis 18 dürften hieran ihre Freude finden.
Auf den weiteren Output dieser Band, die vor vier Jahren an der University of Westminster in Reading (Nähe London) gegründet wurde, und deren Name sich auf Immanuel Kants philosophische "Kritik der reinen Vernunft" bezieht, darf man gespannt sein, denn "The Dark Third" ist gerade mal das Debütalbum.
  ↑  Anna Ternheim: Separation Road (Stockholm/Universal) 16.2.2007
Die smarte Schwedin bezaubert auf ihrem 2. Album mit wunderschönem, melancholischem Indie-Folk-Pop. Im Vordergrund steht dabei ihre ausdrucksstarke und wandlungsfähige Stimme, die sie über melodiöse und atmosphärische Kompositionen ausbreitet, die mal nur mit der Akkustik-Gitarre oder Piano auskommen, ein anderes mal aber mit allerlei Instrumenten wie Streicher, Oboen und Glockenspiel üppiger ausgestattet sind.
Wer diese Musik mag, dem sei auch das Debüt "Somebody Outside" von 2006 empfohlen!
  ↑  Tinariwen: Aman Iman (Relentless/PIAS) 16.2.2007
Tinariwen ("leere Orte") ist eine vielköpfige Tuareg-Band aus der Sahara im Norden von Mali um den Sänger und Gitarristen Ibrahim Ag Alhabib. Dieser ist seit der Gründung der Band im Jahre 1982 (!) dabei und sticht durch sein markantes Äusseres hervor. Sein Lebenslauf ist aber typisch für die Tuareg seiner Generation und geprägt vom Kampf um den Erhalt ihrer traditionellen Lebensweise als Wüstennomaden: Geboren 1960, flüchtete seine Familie nach dem Tuareg-Aufstand von 1963, in dem sein Vater ums Leben kam, zunächst nach Algerien, dann nach Libyen, wo der junge Ibrahim, ohne Arbeit und Zukunft, den Werbern von Staatschef Gaddafi in die Hände fiel. In einem Militärcamp nahe von Tripolis wurde dann auch die Band gegründet. Als 1990 ein neuer Aufstand im Norden von Mali ausbrach, waren die Tinariwen mit der Waffe dabei. Nach dem Friedensabkommen mit der Regierung von Mali kämpfen die Tinariwen ausschliesslich mit friedlichen und musikalischen Mitteln für die Interessen ihres Volkes. Als Geste der Versöhnung findet seit einigen Jahren nördlich von Timbuktu das Festival au Desert statt, auf dem Bands und Tanzgruppen aus ganz Nordafrika auftreten. Dort wurden sie von europäischen Besuchern "entdeckt", es folgten Tourneen und Plattenvertrag ... und der verstärkte Einsatz der elektrischen Gitarre. Und so ist die Musik von Tinariwen heute eine spannende Vermischung von Blues-Rockriffs und trance-artigen Gesängen alter Tuaregmelodien. Das vielstimmige Zusammenspiel diverser Gitarren begeistert selbst Gitarrenlegenden wie Robert Plant (Led Zeppelin) und Carlos Santana.
"Aman Iman" ("Wasser ist Leben") ist ihre dritte Platte, die auch mit einem sehr schönen Booklet aufwartet: neben Fotos gibt es Infos und Übersetzungen zu allen Liedern, die von den Lebensumständen in der Sahara und dem unbändigen Willen nach Freiheit und Autarkie handeln.
  ↑  Amon Tobin: Foley Room (Ninja Tune) 2.3.2007
Das musikalische Schaffen des in England lebenden gebürtigen Brasilianers verfolge ich nun schon seit Jahren mit einigem Interesse, denn der Klangtüftler ist immer gut für ungewöhnliche Sounds.
Anfang des Jahrtausends legte er ein paar Platten vor, auf denen er HipHop, Jazz und hektische Jungle-Rhythmen zu einer experimentellen Variante des Drum’n’Bass fusionierte. Nach seinem letzten regulären Album "Out From Out Where" 2002 (LB 19) folgten ein Live-Album und der Soundtrack zum Video-Spiel "Splinter Cell 3". Für sein nun vorliegendes 5. reguläres Album hat er sich wieder was Besonderes einfallen lassen. Die Grundlage seiner Sounds sind diesmal keine Samples, sondern Aufnahmen, die er und andere mit hochempfindlichen Mikrofonen in Umwelt und Technik aufgenommen haben: Wassertropfen, Insekten, Maschinen, startende Motoren ... Diese Arbeitsweise ist ähnlich der der sogannten Foley-Artisten, die die Sounds für Filme erschaffen, daher auch der Titel des Albums. Dies ist sicher kein eingängiges Album, dass man mal nebenbei hören kann. Insbesondere im Mittelteil geht es sehr experimentell zu. Wer aber für aussergewöhnliche Sounds offen ist, dem sei diese Platte an Herz gelegt ...
  ↑  DJ Vadim: The Soundcatcher (BBE) 30.3.2007
DJ Vadim wurde in Russland noch zu sowjetischen Zeiten geboren. Anfang der 90er siedelte er nach England über, um sogleich eine erfolgreiche Karriere als DJ und Produzent zu starten. Von 1996 bis 2003 erschienen 6 Producer-Alben oder Compilations von ihm. 2005 war er am Album "Children Of Possibility" des Alternative Rap-Projects One Self beteiligt.
Nun also ein neues Producer-Album von ihm. Auf satten 70 Minuten und 17 Songs bewegt er sich mit zahlreichen Gastmusikern und -sängerInnen gekonnt zwischen HipHop, Soul, Funk, Acid Jazz, Reggae, Asian Vibes und Elektronik.