Lauschbar 31 08. Januar 2006

PDF-Flyer: 410 KByte

Corvus Corax: Cantus Buranus (Roadrunner) 8.8.2005
Seit 15 Jahren ist die Berliner Formation auf Mittelaltermärkten und -festivals präsent. In der Tradition der Spielmannsleute des Mittelalters intonieren sie mit typischen Instrumenten jenes Zeitalters (Dudelsäcke, Schalmeien, Trommeln etc) Lieder und Tänze des Mittelalters, wobei sie den Hörgewohnheiten des zeitgenössichen Publikums Rechnung tragen.
In all den Jahren haben sie immer wieder auch mal einzelne Lieder aus der "Carmina Burana", verwendet, einer bedeutenden Liedersammlung aus dem 13. Jahrhundert, welche im oberbayrischen Kloster Benediktbeuren gefunden wurde. Die Sammlung enthält Trink-, Natur- und Liebeslieder in lateinischer, altdeutscher und altfranzösicher Sprache. Da es zu den Liedern nur Notenfragmente gibt, haben sich schon viele Spielmannsleute und Komponisten an der Vertonung versucht. Die bekannteste Bearbeitung dürfte wohl die von Carl Orff aus dem Jahre 1937 sein.
Nun haben also auch Corvus Corax der "Carmina Burana" ein ganzes Album/Werk gewidmet. In der Tat muß man von einem Werk sprechen, denn die Musik wird aufwendig mit Orchester, Chor und Band umgesetzt. In der Live-Aufführung stehen an die 170 Menschen auf der Bühne! Dieser Bombast und orchestrale Pathos ist vielleicht nicht jedermanns Geschmack, eine interessante Verschmelzung von Mittelalter und Klassik ist es aber alle Male ...

PS:
Dieselbe Formation betreibt auch das Projekt Tanzwut, das sich der Fusion von mittelalterlichen Melodien und moderner elektronischer Tanzmusik widmet.

  ↑  Sinead O’Connor: Throw Down Your Arms (Rocket Science) 30.9.2005
Nach ihrem Erfolg Anfang der 90er, u.a. mit dem unvergeßlichen Hit "Nothin’ Compares 2 U", und einigen radikalen, gegen den politischen und religiösen Mainstream gerichteten Äußerungen, war es um die Irin etwas ruhiger geworden. Ganz untätig war sie aber nie, sondern hat mit interessanten Kollaberationen immer wieder mal von sich hören lassen, zuletzt z.B. auch mit progressiven Acts wie Massive Attack, Afro Celt Sound System u. Asian Dub Foundation. Die im Mai letzten Jahres erschienene und empfehlenswerte Compilation "Collaborations" enthält einige dieser Arbeiten. (Leider fehlt ihr Beitrag zum Soundtrack von "In The Name Of The Father".)
"Throw Down Your Arms" ist ihr 8. Longplayer (seit 1987). Daß dies ein reines Reggae-Album ist, verwundert nach den oben genannten Kollaberationen nicht mehr allzu sehr, hat sie damit doch gezeigt, daß sie bestrebt ist, ihre musikalischen Grenzen immer wieder zu erweitern. Zusammen mit gestandenen Reggae-Musikern, und produziert von Sly & Robbie, hat sie in Kingston einige klassische Reggae-Stücke, u.a., von Peter Tosh und iLee Perry, neu eingespielt. Das funktioniert wunderbar und klingt sehr organisch, nicht zuletzt, weil man ihren Respekt vor den Originalen spürt: sie weiß, daß man diese musikalisch nicht "verbessern" kann, und daß es ausreicht, wenn sie ihnen einfach ihre faszinierende und ausdrucksstarke Stimme verleiht.
  ↑  Stereo MCs: Paradise (Graffitti/PIAS) 29.8.2005
Das seit 1985 bestehende britische Projekt um Sänger/Rapper Rob B. und DJ/Producer Nick Hallam feierte seine größten Erfolge bereits Anfang der 90er, u.a. mit dem Hit "Connected". Nach drei Alben war dann aber erst mal Schluß, bevor sie nach 9 Jahren im Jahr 2001 mit dem respektablen "Deep Down And Dirty" (LB 13) wieder ein Achtungszeichen setzten. Nun, nach "nur" 4 Jahren also ihr 5. Werk.
Dieses enthält wieder die gewohnte lässig-groovende Mixtur aus HipHop, Funk, Soul und Pop, wobei diesmal der R’n’B-Anteil größer ausfällt als früher und dabei auch Gastsängerinnen zum Einsatz kommen.
  ↑  Fort Minor: The Rising Tide (Machine Shop/WEA) 18.11.2005
An dieser Stelle will ich mal die amüsante, aber treffende Rezension aus dem Visions zitieren: "Linkin Park’s Mike Shinoda macht ein HipHop-Album, das mehr Relevanz, Tiefe und Glaubwürdigkeit besitzt als alle Wortmeldungen der Mutterband ... ein waschechtes, tief pumpendes, äußerst flexibel rollendes HipHop-Album, das manchem Linkin Park-Gehässigen die Spucke im Mund trocknen läßt."
Dem bleibt nicht mehr viel hinzuzufügen, außer vielleicht der Information, daß diverse Underground-Rapper wie Styles Of Beyond, Common und Black Thought von The Roots als Gäste zur Vielseitigkeit des Albums beitragen.
  ↑  Kashmir: No Balance Palace (Sony/BMG) 4.10.2005
In ihrer Heimat sind die 4 Dänen schon seit Jahren ein erfolgreicher Alternativ-Rock-Act. Hierzulande sind sie erst mit dem 5. Album "Zitilites" aus dem Jahr 2003 bekannter geworden, auf dem eindrucksvoll vielschichtiger und schwelgerisch melancholischer Rock der Marke Coldplay und The Muse enthalten war/ist. Das vorliegende neue Album enthält auch wieder einige Songs dieser Machart, ist aber ansonsten etwas rauher und direkter geraten.
Enthält ein interessantes Duett von Sänger Kasper Eistrup mit David Bowie sowie einen Spoken-Words-Beitrag von Lou Reed.
  ↑  The Dead 60s: The Dead 60s (Deltasonic/Sony) 23.9.2005
Glaubt man nach den ersten beiden Stücken, insbesondere dem fulminanten Opener "Riot Radio", noch, es hier mit einer Band zu tun zu haben, die auf der von Franz Ferdinand losgetretenen Indie-Rock-Revival-Welle mitschwimmt, so kommen dann doch deutlicher Ska-, Dub- und Reggae-Einflüsse zum Tragen, und man fühlt sich dann eher an The Clash erinnert. Inhaltlich geht es in dem Debüt der vier Liverpooler um Paranoia, das Gefühl, verfolgt zu werden, was früher oder später jeden erfaßt, der in einer Großstadt lebt.
  ↑  Brimstone: Solstice (Big Dipper/Cargo) 25.11.2005
Die norwegische Band mit dem vollständigen Namen The Brimstone Solar Radiation Band, die erst letztes Jahr ihr selbstbetiteltes Debüt veröffentlicht hat (hier im Mai erschienen) legt schnell einen 2. Longplayer nach, der sich inhaltlich aber kaum vom Debüt unterscheidet: Elemente verschiedener klassischer Psychedelic Rock-Bands aus dem Ende der 60er, Anfang der 70er, wie Pink Floyd, Jefferson Airplane, The Doors und The Byrds werden zu einem ganz eigenen rockigen Sound vermischt. Der schnoddrige, teilweise gewöhnungsbedürftige Gesang trägt ebenfalls zum eigenwilligen Klangbild bei, das zwar nichts progressives Neues bietet, aber dem alten Psych-Rock-Fan das Herz wärmt und evtl. auch das jüngere Publikum neugierig auf die alten Sachen der oben genannten Bands macht.
  ↑  Sofa Surfers: Sofa Surfers (Klein/Rough Trade) 28.10.2005
Wenn eine gestandene Band ihr 4. Album wie ein Debüt schlicht nach sich selbst betitelt, so läßt das einen musikalischen Neuanfang vermuten. Und dieser liegt in diesem Fall auch tatsächlich vor. Haben sich die vier Wiener bis dato (letztes Album "Encounters" vom Januar 2002, LB 16) durch spannende,von elektronischem Equipment getragene Musik im Spektrum von Downbeats, TripHop und Dub einen Namen gemacht, so treten sie uns nun als richtige Rock-Band entgegen, verstärkt um den Sänger Mani Obeya, der mit souliger Stimme neue Akzente setzt. Geblieben ist das Können, extrem groovige Sounds zu produzieren, mal sanft rollend, mal schwer stampfend.
  ↑  Yonderboi: Splendid Isolation (Mole/Intergroove) 24.10.2005
Yonderboi ist bereits eine Lauschbar-Legende! Das in der Lauschbar 7 im Mai 2000 vorgestellte Debüt "Shallow And Profound" des damals erst 19-jährigen Ungarn hatte es den Clubleuten so angetan, daß sie ihn nachfolgend gleich 2 mal in den Club einluden, einmal mit Band, einmal als DJ. Nach 5 Jahren nun endlich ein neues Lebenszeichen des Ungarn, der in der Zwischenzeit die Welt bereist und Film studiert hat. Faszinierte das Debüt noch mit verspielten und entspannten Downbeats, diversen Retro-Zitaten und osteuropäischem Charme, so ist davon auf dem neuen Album nicht mehr viel zu hören. "Überraschend düster und geradezu bildhaft sind die musikalischen Szenarien, die der 24-Jährige heute zeichnet: krächzende Krähen, ein Kinderchor, der eine traurige Melodie anstimmt, dicke Streicher-Schichten und eine bedrohliche Geräusch-Kulisse, die im Hintergrund schwelt und immer wieder aufkeimt. Auch der TripHop-Vorliebe ist Yonderboi nicht durchweg treu geblieben, E-Gitarren und immer wieder ausbrechende, hypnotische Beats beherrschen das Geschehen. Routinierter klingt Yonderboi heute, aber auch wie jemand, der nicht mehr nur an das Gute in der Welt glaubt. Nicht abgebrüht, aber reifer." (CDstarts.de)
Auf dem neuen Album ist auch mehr Gesang enthalten, wozu sich Yonderboi verschiedene Gastsängerinnen und -sänger ins Studio geholt hat. Leider hat er dabei (für meinen Geschmack) bei den männlichen Stimmen nicht immer ein glückliches Händchen gehabt, sonst hätte auch dieses Album wieder ein richtiges "Killer"-Album werden können. Aber auch trotz dieses Makels ist es immer noch sehr eindrucksvoll.
  ↑  Alias & Ehren: Lillian (Anticon/Alive) 22.8.2005
Hier haben wir es mit 2 Brüdern aus den USA zu tun: Alias – der ältere - war in seiner Jugend Rapper, jetzt ist er für die elektronischen Sounds verantwortlich. Ehren hat von Kind an alle möglichen Blasinstrumente spielen gelernt. "Lillian" ist ihre erste gemeinsame Arbeit, "ein fesselndes Album, das die Rhythmik von HipHop und Elektronika, die Wärme des Jazz und die Entrücktheit des Ambient organisch verschmelzt." (Visions). Wer mehr von dieser Art von Musik hören will, wird auf dem Anticon-Label fündig.
  ↑  Vector Lovers: Capsule For One (Soma) 21.11.2005
Hinter diesem Projekt verbirgt sich der Brite Martin Wheeler, der hier innerhalb eines Jahres bereits sein zweites Album vorlegt, auf dem elektronische Sounds und Beats verschiedener Art enthalten sind: mal technoid pumpend, mal sphärisch und pluckernd. Zum Teil mit 80er Jahre Synthie-Pop-Einschlag der Marke Kraftwerk, bei den ambienten Stücken aber auch an moderne Act wie Boards Of Canada oder den in der letzten Lauschbar vorgestellten Felix Laband erinnernd.
  ↑  Souad Massi: Honeysuckle (Wrasse) 31.10.2005
Dies ist das dritte Album der 1972 in Algerien geborenen und jetzt in Frankreich lebenden Künstlerin. Die Basis ihrer Musik liegt im algerischen Rai, im andalusischen Flamenco und in arabischer klassischer Musik. Es fliessen jedoch auch Elemente westafrikanischer und kapverdischer Folklore als auch westlicher Singer/Songwriterinnen ein.
Auf dem Album wechseln sich energetische, tanzbare Songs mit sanft dahinfließenden Balladen, die einen Hauch von Exotik verströmen.